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Renate Künast, Höcke und der Zusammenprall von Meinungsfreiheit und Persönlichkeitsrecht

Was ist Beleidigung, was erlaubte Meinungsäußerung? Bei Konflikten zwischen der Meinungsfreiheit und dem Persönlichkeitsschutz treffen zwei Alphatiere unserer Verfassung aufeinander.

Darf man Renate Künast «geisteskrank» nennen und Björn Höcke «Faschist»? Beide Personen waren diesen Monat Anlass für zwei Gerichtsentscheidungen, die sich mit dem Aufeinanderprallen von Meinungsfreiheit und Persönlichkeitsschutz befassen. Das Höcke-Urteil wurde weitgehend wohlwollend aufgenommen, das Landgericht Berlin hingegen wurde mit Hass und Häme überzogen.

Hat das LG Berlin tatsächlich Hasskommentare jeglicher Art bedingungslos freigegeben, wie man allerorten liest? Nein.

Wir sehen uns erst an,

  • was passiert ist, dann
  • im zweiten Schritt, wie eine rechtliche Prüfung nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ablaufen muss und dann
  • im dritten Schritt, wie die beiden Gerichte diese Vorgaben des BVerfG anwenden.

1. Teil: Was war passiert?

Im Fall Höcke ist es schnell erklärt - die Stadt Eisenach wollte einer Demonstration untersagen, unter dem Motto «Protest gegen die rassistische AfD insbesondere gegen den Faschisten Höcke&lraquo; zu marschieren. Grund: Faschist sei eine Beleidigung. Dagegen wurde ein Eilantrag gestellt, dem das Verwaltungsgericht Meiningen stattgab. Gund: Das Werturteil beruhe auf Veröffentlichungen Höckes und damit auf einer «überprüfbaren Tatsachengrundlage».

Komplizierter ist es im Fall Künast: Die Grünen hatten ja eine Phase, in der Mitglieder erreichen wollten, dass einvernehmliche sexuelle Handlungen mit Minderjährigen nicht bestraft werden. Das braucht man nicht durch Abmilderungen beschönigen und ist Teil der Geschichte der Grünen. Im Berliner Abgeordnetenhaus gab es 1986 eine Debatte zu häuslicher Gewalt und es kam es zu einem Wortwechsel, der für die rechtliche Beurteilung eine maßgebliche Rolle spielt.

Die Rednerin der Grünen wird in der Debatte durch einen Zwischenruf unterbrochen, welcher den Antrag der Grünen zur Straffreiheit nicht richtig widergibt. Daraufhin ruft Renate Künast ihrerseits dazwischen: «Komma, wenn keine Gewalt im Spiel ist». Renate Künast hat später betont, dass Sie zu keinem Zeitpunkt einvernehmliche sexuelle Handlungen mit Minderjährigen befürwortet hat. Dennoch bleibt bei Betrachtung nur des Zwischenrufs die Möglichkeit, ihn zu verstehen als «Sexuelle Handlungen mit Minderjährigen sind statthaft, wenn keine Gewalt im Spiel ist ».

Dies wurde seinerseits aufgegriffen und verfälscht wiedergegeben durch einen Beitrag im nationalkonservativ-rechtslastigen Blog «Halle Leaks» von Sven Liebig auf Facebook. Daraufhin gab es eine Fülle von Kommentaren, die ich hier gar nicht in den Mund nehmen möchte, die aber in der Wortwahl teilweise vollkommen danebengreifen und mehr über die jeweiligen Verfasser sagen als zum Inhalt beizutragen. Frau Künast wollte von Facebook die IP-Adressen und dann gegen die Verfasser rechtlich vorgehen. Facebook weigerte sich und bekam vom Landgericht Berlin Recht.

Das in Kürze zu den beiden Fällen, jetzt die Frage: Warum haben die Gerichte so entschieden? Zwei Grundrechte stehen hier auf dem Plan, nämlich die Meinungsfreiheit und das Persönlichkeitsrecht. Beides ganz starke Grundrechte, beide konstituierend für unsere Rechtsordnung, sozusagen Alphatiere unserer Verfassung.

2. Teil: Das Bundesverfassungsgericht

Widmen wir uns damit nun dem zweiten Schritt und sehen uns an, wie so eine Prüfung von Grundrechten juristisch verläuft. Das BVerfG hat eine lange Tradition der Rechtsprechung zum Persönlichkeitsrecht im Spannungsfeld von Meinungsfreiheit oder auch Kunstfreiheit. Hier nur ein ganz kurzer Ausblick auf eine verfassungsrechtlich wirklich höchst anspruchsvolle rechtliche Konstruktion.

Kurzer Blick auf die beiden hier betroffenen Grundrechte, und schon ein erster Blick zeigt eine ganz spannende Sache:

  • Die Meinungsfreiheit schützt das Recht, seine eigene Meinung ungehindert und frei zu sagen. Gibt ja Leute, die bei öffentlichen Veranstaltungen ihre Meinung äußern, dass es keine Meinungsfreiheit mehr gibt, die haben das halt noch nicht verstanden.
  • Das Persönlichkeitsrecht schützt die freie Entfaltung der eigenen Persönlichkeit.

Soweit, so einfach, und jetzt wird es spannend, nämlich eine Spur konkreter.

  • Zur Meinungsfreiheit gehört es auch, dass man seine Meinung überspitzt, ausfallend oder sogar verletzend äußern darf. Man muss sich also nicht zügeln!
  • Auf der anderen Seite schützt das Persönlichkeitsrecht vor Ehrverletzungen und Beleidigungen.

Also, wir haben zwei völlig konträre Aussagen:

  • Jeder darf seine Meinung überspitzt, ausfallend und verletzend äußern.
  • Aber niemand muss sich beleidigen lassen.

Wie geht das zusammen?

In dem beide Grundrechte im individuellen Einzelfall in einen Ausgleich gebracht werden, die sog. praktische Konkordanz. Keines der beiden Grundrechte hat per se automatisch Vorrang.

Wie sieht dieser Ausgleich der beiden Grundrechte aus?

Das BVerfG schreibt zuerst die Prüfung vor, ob eine Schmähkritik vorliegt. Wird das verneint, ist eine Abwägung der gegenseitigen Interessen vorzunehmen. Fangen wir mit der Schmähkritik an.

Eine Schmähkritik liegt vor, wenn die Herabsetzung einer Person im Vordergrund steht und nicht eine Sachauseinandersetzung. Wenn es also nur um’s Beleidigen geht, haben wir eine Schmähkritik. Die aber ist immer verboten. Ich kann mich nicht auf die Meinungsfreiheit berufen, wenn ich nicht - auch hart - über eine Sache streiten will, sondern verletzten und beleidigen.

Bei einer Schmähkritik ist die Prüfung also beendet und das Persönlichkeitsrecht siegt. Aber weil damit kein Ausgleich mehr stattfindet, setzt das BVerfG hohe Hürden für den Begriff der Schmähkritik:

Sobald es mehrere Deutungsmöglichkeiten gibt, darf ein Gericht keine Schmähkritik annehmen. Es muss dann in den nächsten Schritt einsteigen und eine Abwägung im Einzelfall vornehmen. Unterlässt es dies, kann der Betroffene sofort rechtlich gegen das Urteil vorgehen. Und bei Fragen, welche die Öffentlichkeit wesentlich berühren, wird eine Schmähkritik vom BVerfG fast ausgeschlossen.

Liegt also keine Schmähkritik vor, kommt man zum zweiten Teil der Prüfung, nämlich dem Ausgleich der Interessen. Dafür guckt sich ein Gericht die Umstände des Einzelfalles an. Politiker beispielsweise haben dabei mehr einzustecken als Leute, die sich nicht öffentlich exponieren. Und je wichtiger die Frage für die Allgemeinheit ist, um so höher ist die Meinungsfreiheit zu gewichten.

So hat das BVerfG jüngst in einem Fall beispielsweise den Vergleich eines Gerichtsverfahrens vor dem Amtsgericht Hamburg mit «Gerichtsverfahren vor ehemaligen nationalsozialistischen deutschen Sondergerichten» als zulässig erachtet und eine Einstufung als rechtswidrige Beleidigung abgelehnt (BVerfG Beschluss vom 14.6.2019). Natürlich geht ein solcher Vergleich an der Sache vollkommen vorbei und ist abgeschmackt. Die Entscheidung zeigt aber, welche Bedeutung der Meinungsfreiheit zugemessen wird.

3. Teil: Die Anwendung durch die Gerichte

Kommen wir damit zum dritten Schritt des Videos, nämlich dem Abgleich der beiden Urteile zu Renate Künast und Höcke mit dieser Rechtsprechung des BVerfG.

a) Schmähkritik?

Die Prüfung der Grundrechte beginnt ja mit der Frage, ob eine Schmähkritik vorliegt, ob es also nur um das Beleidigen geht oder möglicherweise auch um die Auseinandersetzung. Wir erinnern uns: Wenn eine Aussage auch nur so ausgelegt werden kann, dass es sich um eine Sachauseinandersetzung handelt, liegt nach BVerfG zwingend schon keine Schmähkritik vor.

Für die Bezeichnung Höckes als Faschisten hat das Verwaltungsgericht Meiningen nach Auflistung von Zitaten bestätigt, dass es um die Auseinandersetzung in der Sache geht und damit keine Schmähkritik vorliegt. Das war auch einfach.

Schwieriger beim LG Berlin und Renate Künast. Können die Äußerungen so ausgelegt werden, dass es einen Sachzusammenhang gab? Ging es um eine die Öffentlichkeit wesentlich berührende Frage? Ist Sexualität von Erwachsenen mit Minderjährigen eine die Öffentlichkeit wesentlich berührende Frage? Aber sicher.

Das aber heißt: Schon durch den Kontext des Themas ist laut BVerfG ein Rückgriff auf die Schmähkritik so gut wie ausgeschlossen. Ob mir das schmeckt oder nicht: Hätten das LG Berlin eine Schmähkritik angenommen, wäre der Fall einige Zeit später mit schönen Grüßen vom BVerfG zurückgekommen.

Also, in beiden Fällen liegt, wenn man die Rechtsprechung des BVerfG zugrundelegt, keine Schmähkritik vor.

b) Abwägung

Damit kommt der nächste Baustein der Prüfung, nämlich die Abwägung der gegenseitigen Interessen.

Im Fall Höckes war das wiederum recht einfach. Das Gericht stellt fest, dass es um einen an prominenter Stelle agierenden Politiker geht (was dessen Persönlichkeitsschutz mindert), um eine die Öffentlichkeit wesentlich berührende Frage (was das Gewicht der Meinungsfreiheit stärkt) und dass das Werturteil auf einer überprüfbaren Tatsachengrundlage beruht, nämlich den Zitaten, und damit nicht aus der Luft gegriffen ist. Für den beschränkten Prüfungsrahmen eines Eilverfahrens genügte das dem Verwaltungsgericht und die Vermutung liegt nahe, dass es in einem Hauptsacheverfahren nicht anders wäre.

So, kommen wir damit zum Fall von Renate Künast. Die Äußerungen über sie finde ich zum einem Großteil vollkommen abgeschmackt und widerlich. Aber mein Empfinden und Befinden ist ja nicht maßgeblich für die rechtliche Bewertung, sehen wir uns die Abwägung also einmal an.

Man muss berücksichtigen, dass

  • es sich um eine seit Jahren an prominenter Stelle agierende Politikerin handelt (was den Persönlichkeitsschutz vom Grundsatz her mindert),
  • dass es sich um eine die Öffentlichkeit wesentlich berührende Frage handelt (was das Gewicht der Meinungsfreiheit stärkt),
  • dass eine Meinung auch überspitzt und verletzend geäußert werden darf.

Frau Künast hat später ihren Zwischenruf «Komma, wenn keine Gewalt im Spiel ist» erläutert und klargestellt, dass sie sich zu keinem Zeitpunkt für die Legalisierung von sexuellen Handlungen zwischen Erwachsenen und Minderjährigen aussprechen wollte. Aber es gibt den Zwischenruf, er für sich betrachtet kann so verstanden werden, dass Handlungen dann rechtens seien, wenn keine Gewalt im Spiel ist.

Das aber ist der Leserhorizont. Darf ich einem Politiker, der so zu verstehende Aussage macht, entgegenhalten: «hohl wie Schnittlauch, Dachschaden, krank, geisteskrank, bist Du krank im Kopf, gehirnamputiert, Ich könnte bei solchen Aussagen diese Person die Fresse polieren, hohle Nuss»?

Ich denke, dass wir das nicht überlegen würden, wenn der Zwischenruf so gemeint gewesen wäre, wie er formuliert wurde. Hier ist es aber so, dass Frau Künast deutlich erklärt hat, dass die Formulierung nicht ihre Auffassung widergibt, und - vor allem - dass ihre Aussage durch den rechten Kanal verfälscht widergegeben wurde. Ohne Verfälschung, ohne zweckgerichtete Aufladung hätte es die Kommentare gar nicht gegeben. Das aber wussten dessen Leser nicht.

Ich vermute, dass die weiteren Instanzen bzw. spätestens das BVerfG die eben genannten Aussagen (es kommen ja gleich noch andere) als Meinungsäußerung erlauben wird und dass der Persönlichkeitsschutz wegen der Umstände des Einzelfalls zurücktreten wird: hohle Nuss, hohl wie Schnittlauch, Dachschaden werden angesichts des Themas, um das es geht, wohl nicht verboten werden.

Mir ist klar, dass dieses Zwischenergebnis vielen nicht schmecken wird, und es ist auch nicht mein persönlicher Sprachgebrauch, aber hier geht es nicht um meine sprachlichen Vorlieben, sondern das Handwerk, dass Richter anzuwenden haben.

Es gab aber noch andere Äußerungen zu Renate Künast («Schlampe» etc.), die ich nicht in den Mund nehmen werde, die aber im Raum stehen und die vom LG Berlin ebenfalls als zulässigen, wenn auch überspitzten Beitrag zu einem Sachthema eingestuft wurden. Und mir ist bei dem Ergebnis auch nicht richtig wohl. Auch wenn es sich um eine Politikerin handelt und um ein Thema, dass die Öffentlichkeit wesentlich berührt. Man kann ja beobachten, wie die sprachliche Qualität unserer Diskussionen an allen Fronten bröckelt, wie emotionalisiert wird, der Begriff Erregungskultur trifft es schon ganz gut. An den Einzelnen appellieren, hilft nicht, deshalb brauchen wir einen verbindlichen Rahmen, der uns zurückführt auf ein Maß, dass uns als Gesellschaft wieder eine Grenze gibt.

Wie der Abgleich mit der Rechtsprechung des BVerfG aber zeigt, hat sich das LG Berlin an die vorgegebenen Schritte zur Prüfung des Ausgleichs von Meinungsfreiheit und Persönlichkeitsrecht gehalten, auch wenn man im Einzelfall zu einem anderen Ergebnis kommt und vielleicht auch die nächsten Instanzen das Urteil in einzelnen Punkten korrigieren.

Das LG Berlin hat jedoch nicht die allgemeine Freigabe für Hasskommentare jeder Art ausgesprochen. Sie beziehen sich ausdrücklich speziell auf den Kontext zu dem damaligen Zwischenruf. Bei einer Debatte über die Verkehrswende wären die Kommentare zum Großteil als Beleidigung zurückgewiesen worden.

Dass also eine Anwaltskanzlei gleich auf den Zug aufsprang und die Richter wegen Rechtsbeugung angezeigt hat, sagt mehr über das Geltungsbedürfnis der Kanzlei und deren juristische Fertigkeiten aus als über die Richter. Für mich sind das nur Trittbrettfahrer der öffentlichen Erregung.

Der Fall wird die Gerichte weiter beschäftigen und wir blicken gespannt auf das nächste Urteil.

Und was darf Kunst?

Auch sehr spannend: Was darf Kunst? Was ist durch die Kunstfreiheit gedeckt, was etwa durch das Persönlichkeitsrecht oder Tierschutz verboten? Und warum wird Böhmermann seinen Prozess weiter verlieren? Wer sich für die Kunstfreiheit und deren Grenzen interessiert, findet dazu etwas in einem Aufsatz, den ich für das Martha-Museum in Herford geschrieben habe: Am Ende siegt die Freiheit.

Andri Jürgensen, kunstrechtDE
2. Oktober 2019

 
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